Gesundes Anweiden für Pferde – Alle Jahre wieder!

Die ersten Gräser sprießen und Ross und Reiter können es kaum erwarten. Tierärzte und Fütterungsexperten mahnen zur Vorsicht.

Begründet?

Wieso soll das Pferd den Anweide-Prozess durchlaufen? Und wieso kann dein Pferd nicht sofort mit 24 Stunden Weide starten?

Vor zig Jahren wurden Ackergäule, Transport- und Herrschaftspferde mit Essensresten oder Feldfrüchten ernährt. Heu, wie wir es kennen, gab es damals noch nicht. Den Winter hindurch verbrachten sie im Stall. Bedingt durch die Mangelernährung magerten sie stark ab, manche überlebten nicht. Das erste Grün war extrem wichtig. Nur so konnten sie schnell wieder zu Kräften kommen. Kolik und Kotwasser gab es auch damals schon.

Heute ist die Situation eine ganz andere. Es geht nicht mehr um das nackte Überleben und die meisten starten auch nicht abgemagert in die Weidesaison. Eine gänzlich andere Grundlage für Pferdehaltung.

Wieso also mühsames Anweiden?

Für die Verdauung ist der Wechsel von Heu auf Gras ein massiver Eingriff. Die Organe und Darmflora werden stark belastet und können bei abrupter Umstellung Schäden nehmen. Beobachtet man die Natur, erwacht sie langsam und alles zu seiner Zeit. Selbst Wildpferde können sich durch ihr Wanderverhalten sehr langsam an das zunehmende Nahrungsangebot anpassen. Genau diesen Umstand versucht man für unsere Hauspferde nachzuahmen.

Was passiert, wenn man zu schnell anweidet?

Man kennt es – stehen Pferde auf frischem Gras, kennen sie kein Stopp!

Bedingt durch fehlende Rezeptoren fressen sie so lange, bis es zu einer Magenüberladung kommt. Der Futterbrei wird zwar weitergeschoben, aber durch die fehlende Keimreduzierung gelangen Bakterien in den Dünndarm und verursachen eine Dünndarm-Aufgasung. Nach einer Zeit rutscht der Futterbrei in den Dickdarm und auch dort kommt es zu einer Aufgasung, die letztendlich in einer Kolik enden kann. Aber nicht nur Koliken sind gefürchtet, auch weitere Erkrankungen wie Hufrehe oder Allergien führen zu sinnlosem Pferdeleid. Unterschätzt wird auch der Wassergehalt im Gras, der deutlich höher gegenüber konserviertem Heu ist. Beim Weiden nimmt der Pferdekörper große Mengen an Wasser auf und scheidet es wieder über Niere, Blase und Kot aus. Grundsätzlich kein Problem für den Organismus, aber durch vermehrtes Harnlassen kommt es zu einer verstärkten Ausscheidung an Elektrolyten. Zum Ausgleich dieser ist ein Salzleckstein lebenswichtig und sollte jederzeit verfügbar sein.

Wie viel Gras frisst ein Pferd?

Im Schnitt frisst ein Pferd 4 kg Gras pro Stunde. Bei begrenztem Weidegang etwas mehr. Das bedeutet über einen Weidegang von 16 Stunden hinweg, nimmt es ca. 50 kg Gras auf (Ponys/ Kleinpferde etwas weniger). Dazu kommen rund 40 Liter Wasser. Der Energie- und Eiweißgehalt von Gras ist im Frühjahr deutlich höher als im Herbst. Allerdings können die Werte bei klimatischen Einflüssen stark schwanken. Kommt es im Sommer zu einer Dürre, verschieben sich die Werte. Hohe Energie und wenig Eiweiß erhöhen das Risiko für Erkrankungen.

Generell ist Gras sehr nährstoffreich und ein guter Lieferant für fettlösliche Vitamine. Auch Mengenund Spurenelemente kommen vor. In welchem Verhältnis hängt jedoch von den Bodenverhältnissen ab. Ist der Weidegang begrenzt und liegt unter 6 Stunden täglich, sollte man Vitamine, Mengen und Spurenelemente über ein Mineralfutter zur Verfügung stellen. Auch im Winter und besonders bei bedampftem Heu.

Böses Fruktan?

Vorweg – bei der Fütterung wird zwischen Zucker und Fruktan unterschieden. Beide gehören zu den Kohlenhydraten, jedoch werden sie unterschiedlich verwertet. Die Besonderheit bei Pferden gegenüber Menschen ist, dass ihnen das Enzym Fruktase für die Spaltung von Fruktan fehlt. Sie sind daher auf die Darmflora angewiesen, weshalb das Fruktan direkt bis in den Dickdarm durchrutscht. Bei einer moderaten Menge ist die Verwertung für die Gesundheit kein Problem. Kommt es jedoch zu einem spontanen Überangebot durch vegetative Einflüsse (Dürre, Frost) oder Überfressen, kann es fatale Folgen haben. Im Übrigen verwenden Pflanzen Fruktan als Frostschutz und als Energie Zwischenspeicher für magere Zeiten. Deshalb ist das Wetter in Bezug auf Fruktan ein hervorragender Marker. Frühlingsgras ist zwischen März und Mai enorm zuckerhaltig und enthält über 20 g Zucker pro kg Gras. Rechnerisch bedeutet das ca. 30 % Zucker pro kg Heu. Zur Erinnerung – beim Heu sollte der Wert unter 10 % liegen. Ein großes Risiko für Übergewicht, Hufrehe und Verdauungsstörungen.

Wann ist der beste Zeitpunkt zum Anweiden?

Grundsätzlich gibt es nicht das eine Datum oder den richtigen Zeitpunkt. Die Entwicklung der Weide hängt von der Außentemperatur, Bodenqualität, Düngung, der Höhenlage, Sonne und Regen ab. Gras wächst ab einer Bodentemperatur von 5–8 Grad, darunter ruht es. Dazu benötigt es eine gewisse Tageslänge und Lichtverhältnisse, um Blüte und Früchte auszubilden. Im Frühjahr braucht der Boden mehrere Wochen, um sich zu erwärmen und auf Betriebstemperatur zu kommen. Weswegen ein zu frühes Anweiden dem Boden schadet und die Grasnarbe zerstört.

Abgesehen davon ist das Gras noch tot und enthält Toxine, die wiederrum im Pferd landen. Ist die Natur so weit, ist der beste Zeitpunkt die beginnende Gräserblüte. Hilfreich sind sogenannte Marker / Zeigerpflanzen nach denen man sich richten kann, wozu Wiesenlieschgras, Knaulgras und Spitzwegerich zählen.

Bei Problempferden mit Hufrehe, EMS oder bei Allergikern sollte man um einiges später anweiden.

Wie Anweiden?

Es gibt nicht das eine Ideal. Wer dem Grundsatz von „Durchdacht und Langsam“ folgt, liegt meist auf der richtigen Seite. Mentorin, Pferdewissenschaftlerin und Fütterungsexpertin Conny Röhm empfiehlt folgende Modelle, die sich in der Praxis bewährt haben:

Beispiel 3 Tage je 30 Minuten Intervall

  • Montag 30 Minuten Weidezeit
  • Dienstag 30 Minuten
  • Mittwoch 30 Minuten
  • Ab Donnerstag 1 Stunde Weidezeit
  • Freitag 1 Stunde
  • Samstag 1 Stunde
  • Ab Sonntag + 30 Minuten
  • und so weiter steigern

Beispiel Minuten Intervall

  • Start Montag mit 10 Minuten
  • Dienstag 15 Minuten
  • Mittwoch 20 Minuten
  • Donnerstag 25 Minuten
  • und so weiter steigern

Welches Modell gewählt wird, hängt von der Organisation und Möglichkeiten vor Ort ab. Bei empfindlichen Pferden hat sich gezeigt, dass das 30 Minuten Intervall für den Darm von Vorteil ist. Dieser kann sich etwas besser auf die Veränderung einstellen. Und die Weidezeiten sollten vor dem täglichen Training liegen, damit die überschüssige Energie in Arbeit umgewandelt werden kann. Bis sich die Darmflora gänzlich auf die neue Futtergrundlage eingestellt hat braucht es in etwa 6 Wochen. So lange sollte man sich Zeit lassen!

  • Risiken sind: Hufrehe, Allergien, Nesselfieber, Dysbakterie, Aufgasung, Überladung

  • Beginnt der Löwenzahn zu blühen, ist es meist noch zu früh zum Anweiden.

  • Auf Zeigerpflanzen Wiesenlischgras, Knaulgras und Spitzwegerich achten!

  • Vitamine sollten unter 6 h Weidezeit und im Winter zugefüttert werden, insbesondere bei bedampften Heu.

  • Fruktane sind bei Frost und Dürre sehr hoch.

  • Immer freier Zugang zum Salzleckstein. Auch auf der Weide!

Abweiden

Im Grunde sollte das Abweiden gleich langsam vor sich gehen wie das Anweiden. Der Wechsel von Gras auf Heu ist ebenso anspruchsvoll und weil Heu deutlich weniger Wasser enthält, muss sich der Körper auf die reduzierte Wasseraufnahme einstellen. In dieser Zeit sollte penibel auf die Wasseraufnahme geachtet werden. Idealerweise stellt man zusätzliche Wasserkübel auf und kontrolliert die Tränken.

Muss man neu Anweiden, wenn das Pferd eine Weidepause einlegt?

Abhängig von der Dauer sollte man etwas vorsichtig sein, muss aber nicht gänzlich von Null starten. Z.B. bei einer Pause von 3–4 Tagen kann man wieder relativ zügig mit 2–4 Stunden anfangen. Je länger die Pause dauert, umso vorsichtiger muss man sein! Wer die Möglichkeit hat, sollte frischen Grünschnitt (Achtung, kein Rasenmäher Schnitt!) zufüttern oder an der Hand grasen lassen und so die Umstellung erleichtern.

ZUSAMMENFASSUNG

  • Zu frühes Anweiden birgt gesundheitliche Risiken!
  • Frühes Gras enthält viel Zucker und Fruktan!
  • Altes totes Gras enthält Toxine!
  • Beschädigung der Grasnarbe (offene Böden Nährboden für Giftpflanzen)!
  • Immer auf das Wetter achten und keine spontanen Wechsel provozieren!

Hat sich dein Pferd überfressen?

Dann hilft ein langer gemütlicher Ausritt im Schritt. Oder wenn Reiten nicht möglich ist, Bodenarbeit im Schritt. Auf Grund der Kompression und Stoßeinwirkung sollte auf Galopp so lange verzichtet werden, bis der Bauch wieder einen normalen Umfang erreicht. Generell sinnvoll ist, wenn die tägliche Bewegung nach der Weidezeit stattfinden. So steht einer gesunden Weidesaison nichts mehr im Wege!

TIPP

Quellen und Kurse: Tierwissenschaftliches Institut TWI Video Academy – Pferde sinnvoll anweiden – Conny Röhm TWI • Was blüht denn da? Spohn, Margot; Golte-Bechtle, Marianne; Spohn, Roland: Bücher • Praxishandbuch Pferdeweide: Bender, Ingolf:  Bücher • Pferdehaltung und Permakultur: Neue Ansätze für eine ökologische und wirtschaftliche Offenstallhaltung : Romanazzi, Dr. Tanja: Bücher • Dr. rer. nat. Renate U. Vanselow – Pferdeweide Weidelandschaft

Sylvia Moser

Beraterin für Futter und Fütterungsmanagement für Pferde